Scheitern ist keine Schande

Im Verlauf eines Unternehmertreffens erzählte ich Kathrin Bode (vormals von Frauenbusiness.biz) davon, dass ich 2004 mit meinem Zentrum in Düsseldorf Insolvenz anmelden musste. Sie hörte ganz aufmerksam zu und fragte mich dann, ob sie mich für die Frauenbusiness Podcast Show interviewen dürfte. Ich habe spontan zugesagt, weil mir daran liegt, dass andere UnternehmerInnen ihr Scheitern in einen Erfolg umwandeln.

Vielen Dank, Kathrin, für die Möglichkeit, diesem Tabu in Deutschland ein kleines bisschen ins Licht zu helfen.

Ich wäre nicht ich, wenn es in den Tagen darauf nicht gehörig in mir gearbeitet hätte. Ich dachte darüber nach, wie viele Menschen Geldprobleme haben oder sogar eine Insolvenz erlebt haben – so wie ich damals. Die Einladung zum Interview war für mich eine gute Gelegenheit, noch einmal gezielt darüber nachzudenken, was ich aus dieser schmerzhaften Erfahrung gelernt habe. Ich gebe zu, dass ich mich nicht gern an diese Zeit erinnere. Aber es gibt auch Gründe, warum ich heute erhobenen Hauptes zu meinem Scheitern stehen kann. Hiervon erzähle ich hier.

Eine Insolvenz ist nicht das Ende!

Als ich realisierte, dass es um mein Zentrum nicht allzu gut bestellt war, versuchte ich das zunächst noch ein bisschen zu verdrängen. So geht es wahrscheinlich fast allen, die vor eine solche Entscheidung gestellt werden. Ich bat meinen Vater, sich die ganze Sache mal anzuhören und mir seine Meinung dazu zu sagen. Ich hatte gehörige Angst vor seiner Einschätzung, denn ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht besonders vorteilhaft ausfallen würde. So war es dann auch und es tat weh, vor ihm zuzugeben, dass ich damit gescheitert war.

Da stand ich vor dem Nichts und hatte furchtbare Angst vor dieser Insolvenz. Es fühlte sich an, als wäre nach der Eröffnung des Verfahrens mein Leben vorbei. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich danach je wieder auf die Beine kommen sollte. In diesem Moment waren Geld und Leben synonym. Aber da hatte ich mich selbst gründlich unterschätzt. Hierzu später mehr.

Ich habe mich trotzdem für den Schritt in die Insolvenz entschieden, weil man mir dazu riet und ich inzwischen mürbe von den Geldsorgen war. Zudem war ich krank und hatte kaum Unterstützung. Einen Plan B gab es ebenfalls nicht, weil ich alles auf eine Karte gesetzt hatte.

Die Scham über das Scheitern

Zu der Angst gesellte sich eine nagende Scham darüber, mit meiner Vision gescheitert zu sein. Nicht nur auf materieller Ebene, sondern auch auf der Ebene der Selbstwahrnehmung. Wenn ich ganz ehrlich zu mir war, wusste ich es schon recht früh, dass diese Vision eine Kopfgeburt und keine echte Herzensangelegenheit war.

Ich sehe heute noch das Bild vor mir, wie ich kurz nach der erfolgreichen Eröffnung des Zentrums in einem wunderschönen Düsseldorfer Hinterhof stand und dachte „Das soll ich jetzt die nächsten dreißig Jahre machen? Was habe ich mir nur dabei gedacht?“ Ich war unglücklich, so fest an einen Ort gebunden zu sein und fühlte mich mit diesem Riesenprojekt hoffnungslos überfordert. Es war nicht das Richtige für mich. Leider hatte ich das vorher nicht erkannt. Ich hätte Stein und Bein darauf geschworen, dass dies genau das Richtige ist. Statt mich zu fragen, ob es in Übereinstimmung mit meiner Persönlichkeit war, hatte ich einfach weitergemacht. Warum?

Weil ich keine Ahnung davon hatte, wie ich Übereinstimmung mit mir herstellen konnte. Dieser Zustand war für mich kaum auszuhalten. Stagnation war schlimmer, als eine Bauchlandung zu machen. Aus Angst vor Stillstand habe ich mich in das nächste Projekt gestürzt. Und nun empfand ich Scham – ein sehr unangenehmes Gefühl. Was meine Pleite anging – Insolvenz anmelden zu müssen, ist in Deutschland immer noch ein Tabu – dachte ich, dass ich nach dieser Pleite keinen Job mehr finden würde. Meine größte Sorge war, dass ich in der Gosse lande.

Aufstehen baut die Würde auf.

In der ersten Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens war ich am Boden zerstört. Mir fehlte jegliche Perspektive und es fiel mir schwer, mich damit anzunehmen. Also kümmerte ich mich erstmal um mich. Meine damalige Ärztin hatte meinen Zustand als Erschöpfungsdepression eingestuft. Für mich war es ein Prozess des Loslassens und des Kräftesammelns. Der Vorteil dabei war, dass ich einige Zeit krankgeschrieben war und so erstmals in meinem Leben wirklich anhalten konnte. Diese Zeit habe ich genutzt, um aus meinen Fehlern zu lernen. Bis ich mich berappelt hatte, vergingen eineinhalb Jahre.

Danach wurde es langsam besser. Ich hatte mich daran gewöhnt, wenig Geld zu haben. Inzwischen hatte ich auch wieder einen Job im Marketing. Nebenher begann ich schon wieder als Coach zu arbeiten. Und ich nutzte die Zeit für meine Weiterbildung. Wie ich das bezahlt habe? Keine Ahnung! Offensichtlich bin ich eine Lebenskünstlerin. Das Allerwichtigste war die Erkenntnis, dass ich nicht gestorben, sondern wieder aufgestanden war. Die Welt war nicht untergegangen.

In dieser Erkenntnis fand ich meine Würde wieder!

Neue Perspektiven finden

Bereits nach zwei bis drei Jahren entstand in mir der Wunsch, mich wieder selbständig zu machen. Jedoch wollte ich in der Wohlverhaltensphase noch ein bisschen Kraft sammeln und lernen, was ich falsch gemacht habe. Kurz vor Ende dieser Phase fand ich eine gut bezahlte Position als Marketingleiterin, die es mir nicht nur ermöglichte, einen respektablen Anteil meiner Schulden zurück zu bezahlen, sondern mir auch den Boden für eine neue Selbständigkeit ebnete. Als ich dann im Mai 2010 ohne größere Blessuren und um einige Erfahrungen reicher meine Insolvenzzeit beendete – inzwischen hatte ich meinen Job wieder aufgegeben – war meine erste Handlung, mich wieder selbständig zu machen. Ich hatte es geschafft – Tschakka!

Dieses Mal wollte ich es besser machen. Ich fing mit einer kleinen Beratungspraxis in einem Co-Working-Place wieder an. Meine Kosten waren minimal, so behielt ich den Überblick und hatte endlich wieder etwas Geld zur Verfügung. Nicht viel, aber es war meins. Es war sogar mal wieder ein kleiner Urlaub drin. Ein wunderbar freies Gefühl.

Irgendwie reichte mir das aber noch nicht. Mein neues Business entwickelte sich und so wagte ich wieder einen großen Schritt. Ich schloss meine Praxis und wagte den Schritt ins Online-Business – ein kompletter Neustart. Für diesen Schritt hatte ich recht wenig Geld zur Verfügung aber es gelang mir, ins Leben zu vertrauen. Es hatte mich ja sicher bis hierher getragen und nie im Stich gelassen. Seltsam, dass ich das jetzt so empfinde…

Das Interview

Höre dir hier an, was Kathrin Bode mit viel Feingefühl aus mir herausgelockt hat:

Claudia Heipertz · DFBPS019 – Tabuthema Insolvenz Ist Nicht Das Ende

Wertvolle Erkenntnisse als innere Kraft

Da ich anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder gerade machen, Mut machen möchte, teile ich hier meine Erkenntnisse und Learnings. Im Wesentlichen waren das diese zwölf:

  1. Steh auf und sieh nach vorn.

    Beobachte mal Kinder, wie sie das machen. Wenn etwas schief geht und gerade keiner zusieht, fangen sie oft noch nicht einmal an zu weinen. Sie rappeln sich einfach wieder auf und beginnen von vorne. Gestern ist vorbei! Das Morgen ist noch unbefleckt. Wenn du dich ein bisschen von dem Schreck erholt hast, geh‘ in deinem Tempo achtsam vorwärts. Das Leben zeigt dir, wo es lang geht.

  1. Mache, für dich richtig ist – nicht was „man“ macht.

    Das ist meine wichtigste Lektion. Nur wenn du mit dir in Übereinstimmung bist, kannst du wahrnehmen, was als nächstes werden will. Das macht dich widerstandsfähiger gegen Einflüsse von außen und bewahrt dich vor Fehlentscheidungen. Das oberste Gebot ist daher, immer wieder Verbindung mit dir aufzunehmen und bei dir zu bleiben.

  1. Sei authentisch.

    Das hatte ich beim ersten Mal nicht getan. Niemand wusste, wer ich wirklich bin – am wenigsten ich selbst. Nach außen war ich die Taffe, aber in mir sah es häufig anders aus. Durch die Achtsamkeitspraxis lernte ich, mir selbst und anderen gegenüber ehrlicher zu sein.

  1. Arbeite mit Profis und unterstütze andere.

    In meiner ersten Selbständigkeit habe ich häufig mit Menschen gearbeitet, die sehr günstig waren. Leider waren die Resultate dementsprechend. Deshalb arbeite ich heute nur mit erfahrenen Experten. Wo ich selbst Expertin bin, unterstütze ich andere. Das wirkt sich positiv auf meine Selbstachtung aus und trägt so zu einem Wohlgefühl bei.

  1. Dein Preis ist dein Preis!

    Der Preis für deine Arbeit ist die Anerkennung deiner Arbeit und Energieausgleich für deinen Einsatz. Hierzu zählt auch das Engagement und Geld, das du in den Wissenserwerb gesteckt hast. Ein zu niedriger Preis entzieht dir Energie. Dieser Punkt geht noch tiefer, weil der Preis auch eine Würdigung deiner Fähigkeiten ist und anderen hilft. Hier kennt das Achtsame Marketing Mittel und Wege, wie das ohne innere Widerstände möglich ist.

  2. Erlaube dir neue Wünsche.

    Das war für mich der schwierigste Schritt, weil ich durch die Insolvenz gelernt hatte klein zu denken. So war über die Jahre eine gläserne Decke entstanden. Hier geht es darum, die Sonne zu sehen, obwohl es bewölkt ist. Dieses Thema kennt fast jeder, nur hängt die Decke bei den meisten höher. Im Rahmen des Mindset Coachings helfe ich Unternehmern, diese Decke aufzulösen.

  1. Ein toter Gaul lässt sich nicht reiten.

    Wenn die Situation zu verfahren ist und nichts mehr geht, steig ab. Es muss nicht gleich eine Insolvenz sein. Lerne zu erkennen, wann etwas sinnlos geworden ist oder dir mehr schadet als dient. Bleibst du zu lange auf etwas fokussiert, was aussichtslos ist, führt das meist zu einer größeren Enttäuschung. Bitte hier am besten eine erfahrene Person, sich die Situation anzuschauen.

  1. Das Leben hört nicht auf, nur weil das Geld alle ist.

    In einem Land wie Deutschland fällt man relativ weich. Es ist zwar nicht angenehm, den anderen beim Geld ausgeben zuzuschauen. Aber es ist immer noch genug zum Leben da. Das Einzige, was zu sterben glaubt, ist das Ego. Doch du kannst gewiss sein, dass sich das so leicht nicht ausrotten lässt. Kaum ist es gestorben, ist es wieder auferstanden.

  1. Wage es, wieder vertrauen.

    Das Leben ist verschwenderisch und kreativ darin, seine Gaben zu verteilen. Es geht immer irgendwie weiter. Meine geliebte Oma hat immer gesagt: „Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Genau so war es bei mir. Es hat immer gepasst und ich bin dadurch sehr kreativ geworden, wenn es z. B. darum ging, schöne Kleidung zu tragen. Meine Lösung war ein kultiger Secondhand-Laden mit Designerlabels im Sortiment.

  1. Wenn es mal eng wird, halte deinen Geist trotzdem offen.

    Wenn du eine längere Zeit mit sehr wenig auskommen musstest, reduziert sich die Grenze deiner Vorstellungskraft. Hier darfst du nicht stehen bleiben. Dehne diese Grenze kontinuierlich aus, indem du dir vorstellst, wie es sein wird, wenn du deine finanzielle Freiheit zurückerlangt hast. Das hilft dir dabei, über einen langen Zeitraum bei der Stange zu bleiben.

  1. Achte auf ein förderndes und inspirierendes Umfeld.

    Ich umgebe mich gerne mit erfolgreichen Menschen. Sie geben mir den richtigen Drive, inspirieren mich und machen mir durch ihr Vorbild Mut. Sie helfen mir auch, neue Wünsche und Zielbilder zu entwickeln.

  1. Nimm es nicht persönlich, wenn du scheiterst.

    Krisen sind Diamantschleifereien. Die Scham kannst du überwinden und wie der Phönix aus der Asche steigen. Deine Erfahrung aus diesen Zeiten wird irgendwann Expertenwissen, das für deine Kunden wertvoll ist.

Fazit

Hier sind nur die Erkenntnisse aufgeführt, die für mich offensichtlich waren. Die persönliche Entwicklung, die mir durch dieses Erlebnis möglich war, kann ich nicht in Worte fassen. Ich glaube, dass ich heute durch diese Erfahrungen so frei und selbstbestimmt sein kann, wie ich es inzwischen bin. Das war immer eines meiner wichtigsten Ziele.

Das Wichtigste ist, wieder ins Leben zu vertrauen, aufzustehen und neu anzufangen. Klick um zu Tweeten

Wenn dir etwas Ähnliches widerfahren ist oder du noch in einer Krise steckst, lasse dich nicht entmutigen. Du wirst wieder aufstehen. Die Leidensphase gehört dazu. Verharre nicht darin, sondern vertraue in deine Kraft. Erlaube dir, neue Visionen zu entwickeln und glaube an dich. Wenn du alleine nicht aus der Krise herauskommst, suche dir früh genug Hilfe. Es tut gut, sich der Unterstützung eines anderen Menschen anzuvertrauen.

Zu guter Letzt: Erlaube dir, die größte Vision von dir selbst zu entwickeln und dann tue alles, was sich stimmig anfühlt bzw. tue nur das!

Jeden einzelnen Tag…

Alles Liebe

Claudia

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4 Antworten

  1. Liebe Claudia,

    nur den Artikel auf Frauenbusiness bin ich auf deinen Artikel gestossen.
    Ich finde es sehr bewunderswert und mutig, dass du offen über deine Erfahrungen schreibst. Damit inspirierst du sicherlich viele, die in einer ähnlichen Situation stecken.
    Besonders gut gefallen haben mir diese beiden Sätze von dir, mit denen ich in Resonanz bin:
    Das Leben hört nicht auf, nur weil das Geld alle ist.
    Um schöpferisch zu sein, braucht es nur sehr wenig Geld, dafür aber einen offenen Geist.

    Alles Liebe & ich wünsche dir ganz viel Erfolg bei deinem Herzensprojekt 🙂
    Petra

    1. Liebe Petra,

      vielen Dank, dass du dir für das Interview und den Artikel Zeit genommen hast. Ich freue mich sehr über deine Wertschätzung. Das tut sehr gut. Dafür vielen herzlichen Dank. Es freut mich sehr, dass du in diesem Beitrag Resonanz gefunden hast. Ist es doch das, was ich mit meinem Schreiben erreichen möchte – Resonanz auf einer sehr tiefen Ebene.

      Auch Dir wünsche ich weiterhin viel Erfolg. Ihr macht das so göttlich 🙂

      Liebe Grüße
      Claudia

  2. Vielen Dank für Ihren ermutigenden Artikel zum Thema Insolenz. Ich überlege mir gerade, ob ich mich auch für die Insolvenz entscheiden muss. Ich werde mich noch zu dieser Frage beraten lassen. Jetzt bin ich aber mehr optimistisch. Vielen Dank für Ihren Erfahrungsaustausch.

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