In einem Gespräch, das schon viele Jahre zurückliegt, attestierte mir ein früherer Chef Seniorität. Ich fühlte mich geehrt, aber ich verstand nicht, worauf er sich da bezog. Ich selbst dachte zu dieser Zeit noch, dass ich mehr lernen müsste, um Experte zu werden.

Jahre später wies mich eine Kollegin auf mein umfangreiches Marketingwissen hin. Und ich dachte: „Meint sie wirklich mich?“ Für mich war Marketing so normal, wie Zähneputzen. Schon als Teenager habe ich mich dafür interessiert. Aber obwohl ich zu dieser Zeit bereits über 30 Jahre Berufserfahrung in diesem Bereich hatte, wäre mir im Traum nicht eingefallen, mich selbst als Expertin zu bezeichnen.

Spezialisierung braucht Bewusstsein der eigenen Kompetenzen

Der Impuls besagter Kollegin rüttelte mich auf. Wie konnte das sein, dass ich das selbst nicht spüren konnte? Ich arbeitete mit achtsamen Methoden daran, mir meiner Kompetenzen mehr bewusst zu sein. Das tat ich zunächst nur, weil sich viele meiner Kunden ihrer Kompetenzen ebenfalls nicht richtig bewusst sind. Mir wurde bald klar, dass dieses fehlende Bewusstsein die Quelle für manch schmerzhafte Erfahrungen in meiner Berufshistorie war.

Wir brauchen ein realistisches Bewusstsein unserer Stärken und Fähigkeiten, wenn wir mit unserer Arbeit erfolgreich sein wollen. Denn ohne können wir den Wert unserer Arbeit nicht richtig einschätzen.

Ich zog das Kompetenzstufenmodell von Gordon Training International zu Rate, um besser zu verstehen, wie sich Kompetenz entwickelt. Das Modell wird manchmal auch Abraham Maslow zugeschrieben. Weil es mir nicht gelungen ist, die Quelle eindeutig herauszufinden, erwähne ich hier beide.

Das Kompetenzstufenmodell

Nachfolgend siehst du die vier Stufen der Kompetenzentwicklung. In diesen Stufen eignen wir uns Wissen an. Jede dieser Stufen hat besondere Herausforderungen.

  1. unbewusste Inkompetenz
  2. bewusste Inkompetenz
  3. bewusste Kompetenz
  4. unbewusste Kompetenz

Meine Erfahrung sagt mir, dass danach nicht Schluss sein kann. Denn auf der unbewussten Ebene wollen wir ganz sicher nicht stehenbleiben.  Deshalb habe ich darüber nachgedacht, wie eine 5. Stufe aussehen müsste. Hier bietet uns das Dreyfus-Modell eine Lösung. Dieses geht von fünf Kompetenzstufen aus. Die fünfte Stufe ist die Stufe des Experten. Diese Stufe entspricht meinen Erfahrungen. Weil wir nur mit Kenntnis darüber unsere gesamte Expertise nutzen können. Zudem lässt sich nur über Bewusstsein weiteres Wachstum generieren. Manchmal kommen Kunden zu mir, die auf auf der Schwelle von „unbewusster Kompetenz“ zum Experten stehen. Es ist Teil der Positionierung, die unbewussten Kompetenzbereiche bewusst zu machen.

Nachfolgend gehe ich zunächst auf vier Stufen des oben genannten Modells ein. Dann ergänze ich eine 5. Stufe, die meinen eigenen Erfahrungen und denen meiner Kunden entspricht. Hierbei orientiere ich mich ausschließlich an eigenen Beobachtungen. Im Anschluss zeige ich auf, wodurch die Transformation von der vierten auf die fünfte Kompetenzstufe erfolgen kann.

Die 4 Stufen der Kompetenzentwicklung

[nach dem Kompetenzstufenmodell von Gordon Training International]

1. Stufe: Unbewusste Inkompetenz

Auf dieser Stufe ist uns nicht bewusst, dass wir noch nichts zu einem Thema wissen. Dieser selige Zustand trifft besonders auf die frühe Phase unseres Lebens zu. Denn hier fehlen noch die inneren und äußeren Reize, die uns zum Lernen veranlassen.

Aber auch in späteren Jahren gibt es Menschen, die sich mit ihrem Angebot hier einordnen dürfen. Manch einer mag meinen, dass es reicht, ein Buch gelesen zu haben, um darauf ein Business aufzubauen. Vielleicht schätzt er sich selbst bereits als kompetent ein. Gemessen an dem, was seine Kunden benötigen, liegt er damit jedoch weit unter den Anforderungen, die für ein Mindestmaß an Zufriedenheit sorgen. Diese Fehleinschätzung wird wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt sein.

Die Intuition ist auf dieser Stufe noch unzuverlässig. In der Folge werden viele falsche Entscheidungen getroffen. Die Folge können Erfolglosigkeit und Krisen sein. Diese Krisen initiieren die nächste Kompetenzstufe, wenn wir diese Herausforderung annehmen. In Krisen fragen wir uns, wie uns das passieren konnte. Was wir hätten besser machen können. Wir öffnen uns für das Lernen.

Diese Stufe der Kompetenzentwicklung kann nur durch die Bereitschaft zu lernen überwunden werden.

2. Stufe: Bewusste Inkompetenz

Der manchmal beschämende Moment, in dem wir erkennen, dass wir nichts wissen, wird bewusste Inkompetenz genannt. Wenn unsere Einschätzung mit der Realität übereinkommt, initiiert das das Bedürfnis zu mehr zu erfahren. Wir beginnen zu experimentieren und werten das Feedback des Lebens oder unseres Umfeldes aus, bis wir auf der nächsten Kompetenzstufe angelangt sind.

Auf dieser Stufe können wir intuitiv richtig handeln. Jedoch wissen wir noch nicht, wie wir etwas erreicht haben. Die Analyse unserer Resultate fällt häufig noch falsch aus. Je mehr Vergleichsmöglichkeiten wir haben, desto besser können wir unsere Resultate auswerten.

Die Stufe der bewussten Inkompetenz überwinden wir durch die Bereitschaft Fehler zu machen.

3. Stufe: Bewusste Kompetenz

Irgendwann bemerken wir, dass die Zusammenhänge klarer werden. Unsere Entscheidungen treffen vermehrt ins Schwarze. Wir wissen, wie wir eine bestimmte Fragestellung lösen können. Wenn wir erfolgreich sind, wissen wir, wie wir es gemacht haben. Hier können wir den gesamten Lösungsprozess in einzelne Schritte zerlegen. Damit wird der Prozess reproduziert. Von hier aus kannst du als Unternehmer ein eigenes System entwickeln und automatisierte Abläufe installieren. Das erlaubt dir, deine Arbeit oder Teile davon zu delegieren. Bewusste Kompetenz ist daher die Voraussetzung für eine Skalierung deiner Angebote. Wenn diese Herausforderung geschafft ist, kann das Lernen auf der Ebene normalen Anwenderwissens zum Erliegen kommen.

Über diese Ebene hinaus kommt, wer sein persönliches Erfahrungswissen mit angelerntem Wissen kombiniert und es immer wieder einsetzt.

4. Stufe: Unbewusste Kompetenz

Wenn dir ein Tun in Fleisch und Blut übergegangen ist, ist dir irgendwann nicht mehr bewusst wie viel du zu einem Thema weißt. Du hast nicht nur in dem vorhandenen Themenbereich Wissen angesammelt und persönliche Erfahrungen integriert. Du hast auch Verknüpfungen mit angrenzenden oder artfremden Wissensgebieten hergestellt. Dein Wissen hat sich vertieft. Du hast für die Lösung eines Problems ein hohes Kompetenzniveau erreicht. Das Problem ist, dass du dir dessen auf dieser Stufe nicht voll umfänglich bewusst bist. Genau das kann dir im Business im Wege stehen. Wie kannst du sichtbar werden, wenn dir Teile deiner Expertise fehlen.

Viele meiner Kunden befinden sich auf dieser Stufe. Vor mir sitzen dann hochqualifizierte Experten, die nicht wissen, wie viel sie wirklich draufhaben. Für sie sind ihre Kompetenzen so normal geworden, dass die ihnen keinen Wert mehr beimessen. Häufig kommt noch fehlende Wertschätzung und Anerkennung in der eigenen Lebensgeschichte hinzu. Das kann dazu führen, dass sich hoch kompetente, gut ausgebildete Menschen sich selbst unterschätzen.

Das Imposter Syndrome geht noch hierüber hinaus. Denn damit fühlen sich Menschen nicht nur wenig kompetent. Sie fühlen sich auch als Hochstabler. Ihre größte Angst ist, dass jemand ihre vermeintliche Inkompetenz entdeckt.

In dieser Phase der Kompetenzentwicklung benötigen wir einen wohlwollenden Beobachter, der uns mit unseren Kompetenzen sieht und uns sagt, wie wertvoll sie sind.

Experte werden durch bewusstes Wahrnehmen deiner Expertise

Wie gesagt, wenn es nach mir ginge, würde ich das Kompetenzstufenmodell um einen weiteren Punkt ergänzen. Wie siehst du das? Oder würdest du hier stehen bleiben wollen? Ziehen wir die Evolutionsbrille auf, reicht einfaches bewusst werden nicht aus. Das Stufenmodell bietet uns hier nur den Rückschritt an. In meiner Arbeit ist mir wichtig, das unbewusste Wissen bewusst zu machen und den Nutzen darin zu erkennen. Nur so wird es möglich, den Wert der eigenen Arbeit zu bestimmen.

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5. Stufe: Meisterschaft – Bewusstes Expertenwissen

Verknüpfst du dein fachliches Wissens mit deinem Erfahrungswissen, entsteht Spezialisierung. Niemand bietet genau dieselbe Expertise an. Dein Lösungsweg ist einzigartig. In der Positionierung verschaffen wir uns ein sehr klares Bild darüber. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum eigenen Lösungsweg – deiner Methode. Wir sind in unserer Gesellschaft so darauf eingestellt, die Dinge „normal“ zu machen, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, den eigenen Lösungsweg als Methode zu betrachten. Wie sonst lassen sich die vielen Methoden-Zertifizierungen bei Coaches und Beratern erklären. Ich habe mich ganz bewusst von vornherein gegen solche Zertifizierungen entschieden. Die Ausbildungen habe ich mitgenommen, aber mit meinem Marken-Background war mir immer klar, dass ich meinen eigenen Weg finden muss. So lade ich meine Kunden immer wieder ein, durch diese Brille auf ihre Arbeit zu schauen. Das ermöglicht ihnen sich selbst mit ihren Kompetenzen auf eine ganz neue Weise zu erfahren.

Mit Kompetenzbewusstsein erkennst du leichter, wie wertvoll deine Leistung für deine Kunden ist.

So erlangst du Kompetenzbewusstsein

Am besten sorgst du für ein kompetentes Korrektiv auf Expertenniveau. Das können ein empathischer Berater (f/m) oder eine Mastermind-Gruppe sein, die dir deinen Kenntnisstand spiegeln. Oder du greifst auf Interviews mit Kunden und Interessenten zurück. Sie haben einen Idealzustand im Kopf, auf den sie zustreben. Du wirst in ihren Augen zum Experten für die Lösung ihres Themas, wenn du ihnen dabei hilfst dieses Ziel zu erreichen. Ihr Feedback hilft dir dabei, über dich selbst hinauszuwachsen und ihnen die bestmögliche Lösung anzubieten.

Vielleicht löst du für oder mit deinen Kunden eine Frage, deren Antwort du selbst auf hundertfache Weise erforscht hast. Genau durch diese Übung bist du mit der Zeit zur Expertin (f/m) geworden. Du hast keine Ruhe gegeben bis du eine Antwort auf deine Frage gefunden hattest. Diese Beharrlichkeit wird manchmal genau in dem Moment belohnt, indem du dein Wissen in vollem Umfang an andere weitergibst. Das gilt auch, wenn du selbst nicht immer 100 Prozent der Lösung erreichst. Es reicht, wenn du Teile des Problems auf einem hohen Niveau lösen kannst. Das wichtigste ist, dass du an dieser Stelle nicht deinen eigenen hohen Anspruch ansetzt. Niemand da draußen ist perfekt – auch nicht die Supererfolgreichen.

Positionierung macht deine Expertise sichtbar

Für mich ist Positionierung der Prozess, der alle Kompetenzstufen miteinander verbindet. Mit der Zeit entfaltet sich dein Fachwissen und dein Erfahrungswissen wächst ebenfalls. Du kennst die Resultate, die du mit deinen Kompetenzen für deine Kunden erreichen kannst. Dadurch vertieft sich das Vertrauen in dich und dein Tun. Nimmst du die Kundenperspektive ein, wird dir darüber auch der Nutzen deiner Arbeit bewusst. Durch diese klare Ausrichtung bekommt deine Expertise einen Fokus und einen Entfaltungsraum, in dem du deine Kompetenzen weiter ausbauen kannst. Du schließt deine Wissenslücken nun bewusst und steigerst so deine Qualität. Deine Expertise entwickelt sich auf einem bewussten Niveau weiter.

Als Unternehmer*in brauchst du bewusstes Expertenwissen, um Prozesse im Unternehmen reproduzierbar zu machen. Es geht nicht mehr nur um intuitives Handeln oder um die Analyse deines Handelns. Auf dieser Kompetenzstufe erkennst du tiefer liegende Prinzipien, die sich auf die verschiedene Geschäftsprozesse anwenden lassen. Das befähigt dich, Systeme zu schaffen, die dir und deinen Mitarbeitern alle Arbeitsabläufe erleichtern – auch den der Kundengewinnung.

Wenn Du hier angelangt bist, interessieren deine Ausbildungen nur noch am Rande. Manchmal macht dich ein „schräger“ Lebensweg sogar um so glaubwürdiger. Deine Kunden wollen gerade diese Erfahrungen, weil sie durch diesen spezifischen Blick auf ihre Herausforderung etwas für sie Wichtiges lernen. Du hast den gesamten Prozess durchlaufen und kennst den gesamten Weg mit seinen Hürden und Ergebnissen. Du weißt, wie es sich anfühlt, das Ziel erreicht zu haben.

„Marke sein bedeutet, diese Botschaft mit deinem gesamten Auftritt auszustrahlen.“

Dafür brauchst du nicht laut herauszuschreien, dass du „Experte“ bist. Du strahlst es aus, wenn du deine Erfahrungen teilst. Hierdurch wird der Wert für dein Publikum erfahrbar.

Bewusst geht’s leichter!

Claudia

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4 Antworten

  1. Wenn mir jemand ‚Seniorität‘ zuschreibt, frage ich mich zuerst, ob mich dieser Mensch gerade alt genannt hat 😉
    Aus dem spannenden Artikel nehme ich persönlich mit, dass meine Bereitschaft, Fehler zu machen, durchaus noch Luft nach oben hat. Und es Sinn macht, mich damit auseinander zu setzen.
    Gleichzeitig ewig schade, dass die hunderten ‚Experten‘, die ihr Expertentum ganz dick im Xing / LinkedIn Profil stehen haben, diesen Beitrag nie lesen werden, weil sie ja bereits so unglaublich Experte in allem sind 😉
    Beste Grüße und bleiben Sie gesund
    Patrick Jobst

    1. Lieber Patrick Jobst,
      das stimmt wahrscheinlich, oder sie müssen erst ein paarmal scheitern, um sich für solche Dinge zu interessieren. Schön, dass du hier vorbeigeschaut und dir für diesen Beitrag Zeit genommen hast.
      Herzliche Grüße
      Claudia

  2. Liebe Claudia,
    jetzt habe auch ich wieder etwas dazu gelernt. Es ist bei Deinem Contant immer ein kleines „Aha“ oder ein großes „Interessant, wieder was gelernt“! 😉 Danke dafür!
    Liebe Grüße, Ulrike Fuchs

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